Papst Franziskus und Generalsuperior Pater Tomaž Mavrič CM mit den Vertretern der vinzentinischen Gemeinschaften (Foto: FAMVIN)
Vertreterinnen der Föderation mit Tomaž Mavrič CM (Foto: Fanny Douhaire)

Die Zukunft der Vinzentinischen Familie liegt in der Zusammenarbeit

Bericht vom Treffen der vinzentinischen Treffen, das vom 7. bis 12. Januar in Rom stattfand.

Es war ein wahrhaft historisches Ereignis: Vom 7. bis zum 12. Januar 2020 waren die Leitungen aller Gemeinschaften, Vereinigungen und Verbände der Vinzentinischen Gemeinschaften weltweit nach Rom eingeladen. Von den aktuell bekannten rund 160 Zweigen waren 97 der Einladung gefolgt – 200 Vertreterinnen und Vertreter hörten zu, dachten nach, beteten und diskutierten darüber, wie das Vinzentinische Charisma seine Kraft auch in der Zukunft entfalten kann. Eine Papstaudienz am Mittwoch leitete das Treffen ein. Schwester Blandine kam die Aufgabe zu, am letzten Vormittag eine Zusammenfassung der Tage zu präsentieren. Diese geben wir hier im Wortlaut wieder:

Zunächst möchte ich mich für das Vertrauen bedanken, das mir das Steuerungskomitee entgegengebracht hat, indem es mich um diese Zusammenfassung bat. Mir wurden zwei Fragen gestellt: 1. Was habe ich gehört? 2. Was sollen wir tun?

Was wollte der Herr uns in diesen Tagen sagen, durch jede/jeden von uns? Bevor ich die Analyse dieser Tage mit Ihnen teile, lasse ich mein Herz sprechen, um Ihnen meine Freude auszusprechen darüber, die Mobilisierung zu sehen, die dieses internationale Treffen ausgelöst hat – ein historisches Ereignis, wie es Pater Tomaž, unser Vorsitzender, ausgeführt hat.

Vor allem möchte ich meine Freude darüber ausdrücken, dass ich meine Mitschwestern der Kongregationen der Föderation von Straßburg hier angetroffen habe. Danke dafür, dass Ihr Euch auf den Weg gemacht habt!

Dieses erste Treffen mit mehr als der Hälfte der Zweige der FAMVIN ist ein großer Schritt in Weiterführung der Strukturierung unserer weltweiten Organisation, die 1995 begonnen hat.

Wir sind 200 Vertreter/innen, die diese Tage in Rom miteinander erlebt haben. Jede und jeder, Ordensleute wie Laien, werden an unseren Lebensorten diese miteinander geteilten Ideen aussäen, um unser vinzentinisches Charisma zu leben.

Einleitend möchte ich einen Satz von Papst Franziskus aufnehmen, den er am Mittwoch im Lauf der Audienz gesagt hat: „Ein Glaubender, und mehr noch ein Christ, muss das Herz für die Solidarität geöffnet haben.“

Das ist genau das, was wir versuchen zu tun, wenn wir uns auf das Charisma des hl. Vinzenz, der hl. Luise und all der anderen berufen.

Die Grundlage unseres Charismas liegt nicht in der Verteidigung von Werten, sondern in der Einwilligung dazu, uns vom Evangelium drängen zu lassen, das alle Menschen trifft und den ganzen Menschen.

Unser vinzentinisches Engagement soll unseren Zeitgenossen Ausdruck von der Fürsorge Gottes für die Menschen sein, die von Armut, Krankheit und Zerbrechlichkeit gezeichnet sind.

Unser Einsatz soll die Würde dieser Personen offenbaren. Diese Würde ist nicht an die individuelle Leistung gebunden, sondern muss die Geschichte, die Beziehungen, die familiäre und soziale Dimension der Person mitbedenken, die wir aufnehmen.

Ich werde in dieser Rückschau weiterfahren, indem ich die unterschiedlichen Themenfelder, die wir seit unserer Ankunft hier geteilt haben, anschneide und die auf die Frage antworte: Was habe ich gehört?

1. In seinem Beitrag hat uns Pater Maloney daran erinnert, dass unser Charisma eine wagemutige Umsicht braucht. Diese wagemutige Umsicht nährt eine tiefe Liebe zu den Armen, eine unerschütterliche Verbundenheit mit Jesus Christus und ein unbedingtes Vertrauen auf die Vorsehung. 

„Sich trauen, revolutionär zu sein, sich nichts verbieten, solange die Liebe und der Respekt den Armen gegenüber an erster Stelle bleiben…”

Ich habe drei Merkpunkte bezüglich der wagemutigen Umsicht notiert:

- Ist dies ein Anruf Gottes? Verstehen wir, die Zeichen der Zeit zu lesen?

- Lässt unser Handeln Hoffnung zur Welt kommen? Öffnet sie Wege der Hoffnung?

- Was ist der Mehrwert dessen was wir tun im Vergleich zu dem, was andere tun?

2. Wir haben danach gehört, wie sehr das Charisma eine solide Zusammenarbeit benötigt, ein erfinderisches Zusammenwirken, das sich öffnet auf Träume hin, so wie unsere Vorgänger zu träumen gewagt hatten! Diese Träume haben eine katalytische Wirkung; sie verhindern, dass das Feuer der Sendung ausgelöscht wird.

Behalten wir jedoch auch diese beiden Merkpunkte zur Zusammenarbeit im Gedächtnis:

- Wir müssen darüber wachen, dass es keinen Machtkampf zwischen den verschiedenen Akteuren gibt.

- Es ist notwendig, Isolation zu vermeiden und demzufolge unsere Kräfte zu vereinigen, wobei die je eigene Identität gewahrt bleibt.

3. Durch die Arbeiten der Kommission für Kommunikation der Vinzentinischen Familie haben wir die Priorität erkannt, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, Kommunikation nach innen, Kommunikation nach außen.

Wie Vinzenz von Paul zu seiner Zeit sind wir eingeladen, die Gelegenheiten zu kommunizieren, zu vervielfachen und in unserer Zeit zu leben, das bedeutet, dass wir die neuen Mittel der Kommunikation einsetzen.

Wir sind dazu eingeladen, die Freude des Evangeliums auszubreiten, indem wir die Informationstechnologien einsetzen. Die sozialen Netzwerke sind ein Mittel, die Vinzentinische Familie und ihr Wirken bekannt zu machen, die Ausbildung voranzubringen und die Reflexion in Verbindung mit der Soziallehre der Kirche.

Bei der Vorstellung der schönen Initiative des Filmfestivals hat Pater Joe eine Aussage getroffen, die ich besonders im Gedächtnis behalten habe: „Filme können Gleichnisse für heute sein.“

Zum Thema Kommunikation hier drei Merkpunkte, die mir kommen:

-          Werden die sozialen Netzwerke mit Respekt und Empathie genutzt?

-          Sind unsere Webseiten Gegenstand regelmäßiger Aktualisierung, was wesentlich ist, um die Kommunikation lebendig zu halten?

-          Schließlich: Die sozialen Netzwerke scheinen unerlässlich zu sein, aber sie sind kein Ziel an sich. Es bleibt vorrangig, den direkten menschlichen Kontakt nicht zu vergessen.

4. Das Charisma braucht ein angepasstes berufungsorientiertes Vorgehen. Wir sind aufgerufen einzuladen, willkommen zu heißen und zuzuhören, immer mit dem gleichen Motto: Freude, Glück, Liebe zu unserer Welt.

- Einladen, indem wir unsere persönliche Geschichte erzählen, unsere Berufung. Wir haben viel anzubieten – als Individuum, als Zweig der Vinzentinischen Familie.

- Mit Begeisterung aufnehmen.

– Zuhören mit einem offenen Geist und einem liebenden Herzen.

Dieses berufungsorientierte Vorgehen ist lebenswichtig im Prozess der Nachwuchsgewinnung für die unterschiedlichen Zweige der Vinzentinischen Familie.

Ich sehe drei Merkpunkte:

–Nicht in der Nostalgie des Vergangenen leben.

- Vollzieht sich die Arbeit des Zweiges stets innerhalb des Netzwerks?

- Präsent sein, da sein an den Orten, wo sich junge Leute heute aufhalten.

5. In den Kongregationen braucht das Charisma eine kreative Weitergabe, die überlegt und dynamisch ist. Diese Weitergabe hat zum Ziel, die Vision des Charismas beizubehalten und es den Mitgliedern der Kongregationen zu ermöglichen, bis zum Ende in ihrer Sendung zu bleiben.

Diese Weitergabe macht ein Loslassen seitens der Gründerorganisation notwendig und gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen zu den Nachfolgern.

Merkpunkte:

- Die Fortbildung der verschiedenen Akteure zu Vinzentinischen Werten vorantreiben

- Die Vitalität und die Beachtung der Werte sicherstellen, wenn die Gründer nicht mehr präsent sind.

 

Ich wende mich nun dem zweiten Teil der Rückschau zu: Was sollen wir tun?

Gestern haben wir uns gefragt, wozu wir in den kommenden Jahren eingeladen sein werden. Welchen Traum haben wir für die Zukunft des Charismas?

Alles, was ich jetzt mit Ihnen teilen werde, sind Elemente der Überlegungen, die gestern hier in dieser Versammlung angestellt wurden. Ich habe nichts erfunden. Ich habe nichts dazugefügt.

Im einleitenden Gebet dieses Morgens hat uns Schwester Mary ein starkes Wort gesagt: „Was das Charisma morgen sein wird, hängt von uns ab, von unserem Einsatz und unserer Unterscheidung der Geister heute.“

Das Charisma ist in beständiger Entwicklung und Anpassung. Die einzige Konstante all die Jahrhunderte hindurch ist: „Die Liebe Christi drängt uns“. Das Charisma ist also lebendig!

Vier Spuren ergeben sich meiner Ansicht nach aus den verschiedenen Gesprächen und dem Austausch, aber man könnte wahrscheinlich noch mehr finden.

 

„Von der Zusammenarbeit zur Gemeinschaft“

Die Zusammenarbeit zwischen den Zweigen, in ihrem Kern und auch nach außen muss sich mehr und mehr zur Gemeinschaft hin entwickeln. Wir müssen ein Netz schaffen, weben, einen Stoff in einer Gesellschaft, die sich ständig in Bewegung befindet, in eine Gesellschaft, die der Globalisierung unterworfen ist.

Wir sind alle Experten in unseren Bereichen, wir alle haben unsere Qualitäten. Wir haben Fäden verschiedener Farben, unterschiedlicher Beschaffenheit und unterschiedlicher Länge in unseren Händen. Im Zusammenfügen dieser Fäden, im Weben dieses Stoffs entwerfen wir das Vinzentinische Charisma und wir handeln als Familie, wie das der Präsident der Vinzenzkonferenzen fordert.

Der gute Moment zum Handeln ist jetzt, ist heute! Das, was wir tun, das was wir in der Gegenwart leben, baut die Zukunft auf und lässt sie ahnen. Das Aufrechterhalten des Status quo kann kein Zweck an sich sein.

 

„Die Liebe ist bis ins Unendliche erfinderisch“

Um diesem Aufruf eine Gestalt zu geben, müssen wir unsere Imagination, unsere kreativen Kräfte heranziehen. Wir müssen vom Abstrakten zum Konkreten übergehen, von der Vorstellung zur Wirklichkeit. So werden wir immer ein offenes und achtsames Herz für die neuen Formen der Armut haben.

Es geht darum, sich stets die Frage zu stellen, welche Antworten zu geben sind. Dies macht nötig festzulegen, wo wir unsere Ressourcen und unsere Energien einsetzen, seien sie personell oder finanziell.

Auf die neuen Formen von Armut eine Antwort zu geben, fordert von uns zudem, dass wir nicht in Konfrontation zueinander gehen, nicht im Innern der Familie und nicht mit anderen Organisationen. Es geht darum, sich freuen zu können am Guten, das geschieht, und am Reich Gottes, das voranschreitet.

 

„Die Würde des Menschen ist kein Konzept, sondern Handlung und Kampf“

Den Prozess des Systemischen Wandels zu trainieren und ihn grundsätzlich anzuwenden, scheint für die Zukunft von größter Bedeutung zu sein.

Die Durchführung von Projekten im Armendienst parallel zu einer Reflexion über die Systeme und die Politik trägt das Charisma in die Zukunft. Das bedeutet Solidarität mit jedem Menschen. Eine andere Idee könnte sein, einen gemeinsamen Ausbildungsplan für die gesamte Vinzentinische Familie zu haben.

 

„Das Charisma zu leben lässt spirituell und menschlich wachsen”

Dieser Weg wird jedem zum Angebot, der sich in der Nachfolge von Vinzenz von Paul und Louise von Marillac engagiert.

Selbst wenn das Leben des Charismas, das Leben vom Charisma kein Selbstzweck ist, ebenso wenig wie ein Streben nach persönlicher Befriedigung, erlaubt es jedem, sich gute Fragen zu stellen, in Begeisterung zu versetzen, mit Mut zu handeln und einer Zukunft voller Hoffnung entgegenzusehen.

 

Leibliche und geistige Dienste zu leisten, war das Anliegen von Vinzenz von Paul und Luise von Marillac und auf ihren Spuren der vinzentinischen Menschen all die 400 Jahre hindurch, all der Männer und Frauen, die uns Schwester Bernadette gestern in ihrer Liste aufgezählt hat. Leiblich und geistlich zu dienen, mit Eifer, Güte, Einfachheit und Demut – und Abtötung würden die Missionspriester sagen.

Ich schließe meinen Vortrag indem ich etwas wiedergebe, was wir am ersten Tag unseres Treffens gehört haben: Die Vinzentinische Familie des 21. Jahrhunderts wird sein – ich sage bewusst „wird sein“, nicht „soll sein“. Die Vinzentinische Familie des 21. Jahrhunderts also wird mehr und mehr von Zusammenarbeit geprägt sein. Sie wird reich sein durch all ihre Verschiedenheit. Sie wird zutiefst spirituell sein. Sie wird jedem Mann und jeder Frau helfen, in sich die Hoffnung zu finden, die ihm und ihr einen Neuanfang in Leben erlaubt. Sie wird sich entschlossen für den Systemischen Wandel einsetzen. Sie wird prophetisch bleiben durch ihre Liebe zur Schöpfung.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich zweifle nicht daran, dass wir uns sehr bald wieder treffen werden, um diese Zusammenarbeit aufzubauen.

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